Eine Rück-Schau.
Weihnachten 2020 – anders, aber echter???
Es geht um Weihnachten in den nächsten Absätzen. Und um Musik, natürlich… und es sind meine Gedanken über das vergangene Jahr. Sehr persönlich, vielleicht nicht ganz stringent, aber trotzdem hoffentlich zielführend…
Und weil ich so unfassbar viel Weihnachtspost bekommen habe, auch mit der Frage, wie es mir denn geht, aber nicht allen persönlich antworten kann, dachte ich mir: ich schreib das hier für Euch alle einfach mal auf…
Zunächst mal: meine Weihnachts-Trostmusik!
„Das Volk, so im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht…“, dieser schöne Jesaja-Text, und zwar genau in der Version der „Weihnachtsgeschichte“, wie sie von Hugo Distler [*klick für Spotify-Link*] 1933, also zu Beginn des Nationalsozialismus’ vertont wurde, drückt für mich exakt den Kern dessen aus, was WEIHNACHTEN wirklich ausmacht. Das ist meine „Trost-Musik“.
Kleine Anmerkung: Hugo Distler hat den 2. Weltkrieg nicht überlebt. Nachdem er fünf Gestellungsbefehle hatte ablehnen können, erhielt er im Oktober 1942 den sechsten (wohl unabwendbaren) und setzte seinem Leben daraufhin ein Ende.
…mehr über Hugo Distler? Eine außerordentlich interessante Persönlichkeit, allein schon den Wikipedia-Eintrag über ihn zu lesen, lohnt sich sehr!
Kein Glitzer (na gut: ein Stern!), kein Konsum, keine Party (wenn man mal von den Hirten absieht).
Sondern genau eben nur jene Verletzlichkeit, die das neugeborene Kind symbolisiert, in the middle of nowhere. Im Stall. Und ich glaube, so verletzlich fühlen sich sehr viele von uns in der gegenwärtigen Situation – ich jedenfalls schon, zumindest immer wieder…
Unabhängig davon, was Ihr für ein Verhältnis zu Religion & Kirche habt (ich selbst weiß tatsächlich oft nicht so ganz genau, welches ich habe, bin allerdings schon fast zeitlebens in der Kirchenmusik beheimatet und fühle mich immer wieder tief ergriffen durch die Texte, die wir musizieren): vielleicht möchtet Ihr trotzdem weiterlesen?
Verrückt: verglichen mit 1933 leben wir in geradezu paradiesischen Zeiten. 2020 hat die Welt vor eine große Herausforderung gestellt, das ist wahr, aber wir hier in Deutschland leben immer noch so sicher wie es nur an wenigen anderen Orten der Welt möglich ist – und soweit man im Leben überhaupt von Sicherheit sprechen kann. Immerhin ist zumindest das „täglich Brot“ halbwegs gesichert, jedenfalls noch für eine Weile, auch wenn es mit der Butter im Moment ein wenig traurig ausschaut…
…und damit meine ich nicht Trüffelbutter oder andere materielle Segnungen, sondern die Butter, die die Seele „schmiert“ und tröstet: zum Beispiel Kultur in ihrer unmittelbaren, begreifbaren Form, gemeinsam erlebbar in Form von z. B. Konzerten, Ausstellungsbesuchen und gemeinsamem Arbeiten, wie es vor Pandemiezeiten so selbstverständlich gang und gäbe war, dass wir eigentlich nicht darüber nachdenken mussten… höchstens mal über den Preis einer Eintrittskarte…
Das gilt für beide Seiten. „Konsumenten“ und Künstler…
Um das irgendwie aufzufangen – für mich, aber auch für die anderen – habe ich mein Leben sehr stark in den digitalen Raum verlegt. Nachdem bereits vor der Pandemie ein Teil dort stattfand, da sich die Begeisterungsfähigkeit der Rieser Bevölkerung für kalligrafische Hochleistungen erwartungsgemäß dauerhaft in Grenzen hält und zumindest kein künstlerisches Überleben ermöglicht, war das kein so großer Schritt für mich – und doch… herausfordernd.
Das meint: Ich habe in diesem Jahr meine „Online“-Beziehungen vertiefen, ausweiten und multiplizieren können, was bedeutet, dass ich auch ohne direkten Kontakt faszinierende Menschen neu kennenlernen und Beziehungen vertiefen oder einfach nur Inspiration schöpfen konnte aus dem, was meine Künstlerkollegen Fantastisches Tag für Tag in den sozialen Netzwerken teilen.
Das Teilen ist ein besonderes Kennzeichen unserer buchstabenverliebten Community – ich habe noch in keinem anderen Bereich des Lebens eine so übergreifende Offenheit erfahren. Dafür möchte ich allen denjenigen, die Teil dieser faszinierenden Community sind und das hier zufällig lesen, gleich mal ganz herzlich danken!!!
Meine persönliche „Butter“ sind natürlich genauso sehr oder noch mehr die Beziehungen zu meinen Freunden und meiner Familie. Was haben wir hin und her überlegt, ob wir es wagen können, uns diese Weihnachten zu treffen, meine Kinder und ich… und uns letztlich dafür entschieden, um etwas zu schaffen, von dem wir in den nächsten vermutlich noch sehr anstrengenden und eingeschränkten Monaten der Pandemie zehren können. Im möglichst kleinen Kreis, natürlich, aber fünf Menschen sind wir doch… das fühlt sich einerseits sehr gut an, geradezu grandios und wie eine Riesenparty, andererseits schwingt natürlich das Restrisiko trotz Tests immer mit.
Schon einmal hatten wir dieses Jahr das Glück, uns in der Familie treffen zu können, und das war anlässlich von Johannes’ Hochzeit (das ist mein mittlerer Sohn). An diesen Juni-Sommer-Montag haben wir alle nur die besten Erinnerungen – und die tragen weit. Auch durch sehr trübe & dunkle Herbst- und Wintertage.
Allein zu wissen, dass da Menschen sind, die uns und denen wir wichtig sind, das macht es doch aus… wie werden wir es genießen, wenn Kontakt wieder uneingeschränkt möglich sein wird – man kann es sich im Moment ja kaum vorstellen?!
Ich hatte ein für mich wichtiges Projekt dieses Jahr, ebenfalls im Sommer, ich durfte im österreichischen Schriftmuseum ausstellen und habe dafür an einem eigenen Thema gearbeitet: „apart & together“, ein Wortpaar, das für mich untrennbar mit der Pandemie verbunden ist. Durch die Arbeit mit diesen Worten ist mir noch intensiver bewusst geworden, wie sehr das menschliche Sein zutiefst aus der Begegnung mit dem jeweils Anderen schöpft.
Ich kann sehr gut alleine sein, und es stellt sich immer mehr für mich heraus, dass es auch essentiell für mich ist, einen Teil meiner Zeit ganz alleine zu verbringen. Nur dann sprudeln die Gedanken und findet meine Kreativität den dringend benötigten Raum. Aber das funktioniert nur deshalb, weil ich nicht dauerhaft alleine sein muss… weil ich immer wieder zur „Quelle“ gehen und ganze Abende mit guten Gesprächen über „Gott und die Welt“ verbringen kann… oder einfach über die Straße, um einen Schwatz mit meinen Nachbarn zu halten!
Es gibt Vieles, aus dem ich schöpfe: dazu zählt z. B. die Natur – und kulturelle Veranstaltungen, Musik – aber an allererster Stelle steht eben doch der menschliche Kontakt.
Genau an diesem Punkt werden wir getroffen. Hätte man sich einen Filmplot ausdenken können, der so teuflisch genau auf das abzielt, was das menschliche Sein am meisten ausmacht?? Ich kenn mich mit Filmen leider nicht so gut aus, vielleicht gibt es da schon etwas – aber kommt jemand überhaupt auf so eine verrückte Idee…?
Die Hoffnung bleibt. Natürlich darauf, dass wir mit Hilfe der Wissenschaft und mit einer gehörigen Portion Disziplin (und gesundem Menschenverstand anstelle von Verblendung) irgendwann aus der Krise herausfinden… Aber andererseits auch darauf, dass etwas dauerhaft zurückbleibt aus der Krise, weil die Menschheit ebendies gelernt haben wird: wie wichtig uns unsere Beziehungen sind!
Ich versuche, ergebnisoffen zu denken, was die Zukunft anbetrifft. Es auf mich zukommen zu lassen und zu re-agieren, in welcher Weise das auch immer nötig sein wird. Fällt schwer, wenn man vor allem das agieren gewohnt ist (also ohne „re-„)… Ich hoffe sehr, dass wir alle überleben – buchstäblich natürlich sowieso, aber auch materiell und vor allem psychisch.
Jedenfalls habe ich einen neuen Zugang gefunden zu meiner Arbeit dieses Jahr. Ich habe begriffen, dass sie nicht nur für mich wichtig selbst ist, sondern auch für viele da draußen, die auf mich schauen und für die ich die Quelle für ihr eigenes Arbeiten sein kann. Auch wenn ich dieser Aufgabe nur teilweise gerecht werde, halte ich sie doch für sehr sinnvoll und wichtig (hihi, die Ergotherapeutin eben ,-))). Im November und Dezember hatte ich viele kleine Onlinekurse mit so vielen für mich und auch für die Teilnehmer wichtigen & inspirierenden Begegnungen, und das möchte ich auch so fortführen, solange es gebraucht wird. Von mir – und von Euch…
Zurück zu Hugo Distler und meinem Weihnachtsabend. Wird es also etwas heller am Horizont? Ich muss gestehen, ich muss schon seeeeehr genau hinschauen, um das Licht am Ende des Tunnels zu entdecken… Aber doch, meine un optimistische Natur sieht da etwas. Es wird weitergehen. Oder was denkt Ihr?
Fühlt Euch alle umarmt.
Die Nachgedanken sind sehr nachvollziehbar und und tun so gut, ich finde mich darin wieder.
Und so wie viele Menschen an Einsamkeit leiden in diesen Zeiten, so erlebe ich das „Alleinsein – Müssen“ als Butter für meine Seele – endlich mal länger nur mit sich sein dürfen, ist die andere Seite, die ich mir zu selten gegönnt habe und jetzt als so erquickend erlebe.
Liebe Beatrix, genauso geht es mir auch… immer wieder und besonders zurzeit. Es ist wie eine Aus-Zeit vom ständig Präsent-Sein müssen… Ich bin ja auch überzeugt, dass Covid nicht nur negative Auswirkungen hat, sondern gerade in dieser Hinsicht auch viele positive. Damit habe ich mich besonders bei der thematischen Ausstellung im letzten Sommer in Österreich beschäftigt. Vielleicht sollte ich dazu auch mal einen Blogbeitrag schreiben… es grüßt Dich herzlich: Gertrud
Große, große Nähe…