Hinter den Kulissen der Kalligrafie: So entsteht eine kalligrafische Auftragsarbeit

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Keiner wie der andere: Jeder einzelne kalligrafische Auftrag ist für mich eine kleine (oder manchmal auch größere) Herausforderung.

Kürzlich hatte ich einen schönen kalligrafischen Auftrag, bei dem ich viel mitfotografiert habe, um den Entstehungsprozess zu dokumentieren. Da dachte ich mir: Daraus kann doch prima mal ein Blogartikel entstehen, der meine Vorgehensweise erklärt! Und damit sind wir schon mittendrin:

Möchtest du wissen, wie ich dabei vorgehe, was meine Arbeitsschritte beim Erstellen einer kalligrafischen Auftragsarbeit sind und von welchen Gedanken ich mich lenken lasse? Oder spielst du vielleicht selbst mit dem Gedanken, eine Arbeit bei mir in Auftrag zu geben?

Dann lies doch gerne mal diesen Blogartikel, damit Du eine Vorstellung davon bekommst, wie so eine Auftragsarbeit abläuft.

Schritt 1: Die Vorbesprechung mit dem Kunden

Ein Kunde oder eine Kundin kommt mit dem Wunsch, einen Text kalligrafisch gestalten zu lassen.

Sie vertraut mir diesen Text an, der ihr persönlich sehr viel bedeutet – das heißt für mich zunächst einmal ganz schön viel Verantwortung!

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In einem ersten Schritt schauen wir, ob wir zusammenkommen. Um mit einem Text arbeiten zu können, muss ich Zugang dazu haben und ihn „fühlen“. Manchmal muss ich deshalb ablehnen; nicht mit allen Texten kann ich arbeiten. Wenn mir der Inhalt widerstrebt, kann ich die Worte nicht künstlerisch gestalten …

Auch mit sehr lapidaren Texten tue ich mich schwer – solchen, die es schon tausendfach als Wandtattoo oder Sticker gibt … damit möchte ich tatsächlich nicht gerne meine Zeit verbringen.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Farbgestaltung. Ich habe eine Farbpalette, mit der ich gerne – und sicher – arbeite. Es ist schon vorgekommen, dass der Kunde Farbwünsche hatte, denen ich nicht folgen konnte – dann wird es schwierig für mich, die Arbeit auszuführen.

Wenn wir uns über alles geeinigt haben, fülle ich mein Standardformular mit den wichtigsten Daten rund um den Auftrag aus: Kontaktdaten, konkrete Angaben zu Text, ungefährem gewünschten Format & Größe, Termin etc.

Erst danach beginnt die kreative Gestaltungsreise.

Schritt 2: Gestaltungsideen für die kalligrafische Auftragsarbeit entwickeln / Skizzen machen

Den Text trage ich jetzt eine Weile mit mir herum, um ihn in mir arbeiten zu lassen. Das kann von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten dauern (es gab auch schon Kunden, die ein Jahr lang gewartet haben, wenn der Zeitpunkt gerade nicht günstig war :)) Aber keine Sorge: Wenn es einen Termin gibt, halte ich den natürlich ein. Ich habe noch nie eine Deadline verpasst … Trotzdem: Wenn ich etwas Zeit zum Ideen-Entwickeln habe, wird die Kalligrafie in der Regel spannender.

Meist beginne ich mit einer handschriftlichen Bleistiftskizze: Ich schreibe den Text mehrmals hintereinander in meiner Handschrift, versuche verschiedene Anordnungen. Gibt es Worte, die wichtiger sind als andere, und die hervorgehoben werden könnten? Oder geht es mehr darum, einen gleichmäßigen Fluss zu erzeugen?

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Wie soll das Gesamtbild sein? Geht es um eine Gestaltung, bei der die Lesbarkeit im Vordergrund steht, oder soll eher ein experimentelles Bild entstehen, bei dem der Betrachter erst einmal auf Reisen gehen darf, um den Text nach und nach zu entdecken?

Ich habe einen ganz klaren Favoriten: die experimentellen Gestaltungen 😀. Trotzdem mache ich natürlich auch „ordentliche“ Auftragsarbeiten.

Nach und nach entsteht in meinem Kopf eine Idee. Ich entdecke Farben vor meinem inneren Auge (wenn sie nicht schon vorgegeben sind) … Formen … Es ist wie eine spannende Reise ins Unbekannte, bei der ich das Ziel noch nicht wirklich kenne. Ich lasse mich von meiner Intuition leiten und entdecke auf diese Weise unterwegs die besten Plätze zum Verweilen! Irgendwann bin ich soweit, dass ich mit den Entwürfen beginnen kann.

Am liebsten lasse ich meine Gestaltungen auf diese Weise Schritt für Schritt einfach „entstehen“ – ohne von vornherein zu wissen, wie das Endergebnis aussehen wird. Auf diese Weise bekommt der Kunde / die Kundin eine wirklich individuelle, einzigartige kalligrafische Umsetzung ihres Wunschtextes.

Schritt 3: Abstimmung mit dem Kunden

Oft folgt an dieser Stelle noch ein Zwischenschritt, wenn ich nämlich meine Ideen mit dem Kunden abklären muss/möchte. Dann heißt es: Passende Fotos und/oder Skizzen machen, digital nachbearbeiten, in die gewünschte Form bringen, versenden und abwarten, bis eine Rückmeldung kommt … bei der hier vorliegenden Arbeit hatte die Kundin allerdings sehr viel Vertrauen und ließ sich überraschen (dabei entstehen meiner Meinung nach meistens die individuellsten und schönsten Arbeiten).

Schritt 4: Die eigentliche kalligrafische Arbeit / Umsetzung des Textes

Ich möchte Dir an einem Beispiel zeigen, wie so ein Prozess vor sich gehen kann. In diesem Fall ist der vorgegebene Text ein Trauspruch, den die Eltern der Braut als Wandbild zur Hochzeit schenken möchten. Die Kundin wünscht eine Arbeit auf einem Keilrahmen. Das kommt tatsächlich nicht so oft vor, meistens arbeite ich auf Papier.

Ich muss zugeben, dass ich mich mit dem Text nicht ganz leicht getan habe:

Seid euch einig. Verbunden durch dieselbe Liebe, durch dieselbe Meinung und durch dasselbe Ziel. Nicht Eigennutz oder Eitelkeit soll euer Handeln bestimmen. Sondern nehmt euch zurück und achtet den anderen höher als euch selbst (Philipper 2,2-3)

Ganz schön streng, was? Diesen Text zu hinterfragen bräuchte aber einen eigenen Blogartikel, deshalb will ich dich damit jetzt nicht lange aufhalten …

Ich habe der Kundin zunächst eine andere Übersetzung vorgeschlagen, konnte sie aber nicht umstimmen 🙂 Sie hat Glück gehabt – ich konnte mich trotzdem darauf einlassen, weil ich die anderen Übersetzungen gegoogelt hatte und damit besser „leben“ konnte.

Schritt 5: Absprache des endgültigen Formats

Bevor es überhaupt losgehen kann, überlegen wir gemeinsam, welches Format am besten passt und in der Wohnung gut gehängt werden kann. Ich bekomme Fotos von den Räumlichkeiten. Obwohl eigentlich nur ein Bild geplant war, entscheiden wir uns gemeinsam für drei hochformatige Keilrahmen nebeneinander.

Ich mache eine Recherche, welche Standardformate von Keilrahmen für diesen Zweck in Frage kommen – oder ich finde passendes Material in meinem Lager.

Schritt 6: Keilrahmen grundieren

In einem ersten Schritt müssen diese Keilrahmen jetzt zunächst einmal doppelt grundiert werden, damit ich gut darauf arbeiten kann. Dafür benutze ich einfach weiße Acrylfarbe – oder manchmal auch Gesso.

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Schritt 7: Hintergrundgestaltung

Dann geht es los mit der Gestaltung: Ich beginne gerne damit, die für mich wichtigsten Textabschnitte oder Worte in den Hintergrund zu schreiben. Das „bricht“ die berüchtigte Angst vor dem weißen Blatt – sobald etwas vorhanden ist, kann ich darauf reagieren und komme in den kreativen Flow.

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Natürlich überlege ich mir vorher genau die passende Größe der Worte und wähle das dafür passende Werkzeug – in diesem Fall zunächst einen ziemlich dicken Spitzpinsel. Diese erste Schicht wird mit Gesso wieder leicht abgedeckt. Das ist die erste, etwas blassere Schicht, die du auf dem Bild siehst. Darüber kommt eine zweite Lage, diesmal mit dem Ruling Pen (das ist die dunklere Schrift).

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Teile der Schrift lasse ich mit einem wässrigen Sprühnebel wieder verschwinden. So kann ich jeweils genau entscheiden, wieviel Schrift ich sichtbar machen möchte und wie hell oder dunkel die einzelnen Lagen zu sehen sein sollen. Es geht ja hier schließlich noch um den Hintergrund, sollte also im Moment noch dezent sein.

Schritt 8: Collagenelemente gestalten

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Parallel dazu stelle ich passende Collagenelemente her: Ich färbe zum Beispiel Seidenpapiere im passenden Farbton ein, lasse sie zusammengeknittert auf einer Acrylplatte trocknen, damit sie genügend Struktur mitbringen. Eine tolle Arbeit – aber auch ein bisschen „Sauerei“ … zum Glück konnte ich diese Arbeit diesmal sogar draußen in der Sonne machen!

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Ich schreibe die einzelnen Teile des Textes in verschiedenen Anordnungen mit meiner kalligrafischen Handschrift auf Seidenpapier. Hier teste ich verschiedene Größen, Schriftarten, Layouts. Auch Elemente mit kalligrafischen Schriften entstehen. Nicht alles, was entsteht, wird auch zwangsläufig später verwendet werden!

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Auch die alte Schreibmaschine kam diesmal zum Einsatz! Das ist eine sehr gute Möglichkeit, den Text sehr dezent gut lesbar auf einer ansonsten eher experimentellen Arbeit unterzubringen.

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Schritt 9: Collagenelemente aufbringen und einarbeiten

Im nächsten Schritt bringe ich nach und nach die Collagenelemente auf. Ich entscheide sehr intuitiv, wo welches Element hinkommt – bei dieser dreiteiligen Arbeit ist es essentiell, dass die Gesamtgestaltung ausgewogen ist und das Auge des Betrachters durch die Schwerpunkte geführt wird, dass also ein Rhythmus entsteht, der sich durchzieht.

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Sobald die erste Schicht angetrocknet ist, ergänze ich mit frei gestalteten Farbflächen, die ich mit einem breiten Flachpinsel aufbringe. Auch hier kommt wieder meine Sprühflasche zum Einsatz, um die Flächen miteinander zu verweben. Damit kann man wunderschöne Effekte schaffen, bei denen sich die Farbflächen langsam ins Nichts hinein auflösen.

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Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo genug „auf dem Blatt“ ist. Weißraum ist extrem wichtig für die Gesamtwirkung einer Gestaltung – nur, wenn genügend Weißraum vorhanden ist, können die „sprechenden“ Elemente wirken. [Dabei muss Weißraum übrigens nicht immer „weiß“ sein – ist er aber in diesem Fall]

Schritt 10: Abstimmung mit dem Kunden

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Eigentlich war hier der Wunsch der Kundin gewesen, dass der Text als oberste Lage noch einmal größer und deutlich lesbar zu sehen ist – zum Glück hat sie sich zusammen mit mir entschieden, dass „weniger mehr ist“ und die Arbeit wirklich schon fertig ist. So wird das Auge des Betrachters angezogen von den interessanten Details und kann in Ruhe spazieren gehen und alle Textelemente nacheinander entdecken.

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Schritt 11: Abschlussarbeiten/Finish

Wenn die Arbeit komplett fertig ist, überziehe ich die Keilrahmen noch mit einem Finish. Dadurch wird sichergestellt, dass die Arbeit „stabil“ bleibt.

Was ist der Zeitaufwand für eine kalligrafische Auftragsarbeit?

Jetzt fragst du dich sicherlich, wie lange ich für so eine Auftragsarbeit brauche, denn unter anderem davon ist ja auch mein Honorar abhängig. Das ist nicht leicht zu beantworten, da ich die Arbeiten am liebsten über mehrere Tage auf meinem Tisch liegen habe, um mich langsam an die beste Lösung heranzutasten. Außerdem ist die Zeit für eine Auftragsarbeit für mich nach wie vor sehr schwer einzuschätzen. Insgesamt brauche ich aber sicherlich mindestens die Energie eines gesamten Arbeitstages. Je nach Textmenge und Gestaltung kann es auch gerne einmal länger werden.

Deshalb kann ich nicht oft solche Auftragsarbeiten ausführen, mein Alltag wird sehr stark von der Arbeit für meine Kurse und auch den Onlineshop bestimmt – und zur Zeit auch öfter von unvorhergesehenen familiären Herausforderungen:) Ich kann im Schnitt maximal einmal im Monat eine Arbeit in dieser Größenordnung machen. Das ist der Grund, warum ich meine Kunden bitte, mich auf jeden Fall rechtzeitig zu beauftragen, in der Regel mindestens zwei bis drei Monate vor dem Fertigstellungstermin.

Solltest du dir also irgendwann mal so eine kalligrafische Auftragsarbeit wünschen, plane am besten genügend Vorlauf mit ein 🙂

Weitere Informationen zu Auftragsarbeiten findest Du im Portfolio meiner Website. Diese Seite befindet sich allerdings noch im Aufbau. Oder Du gehst einfach mal in meinem Shop spazieren, dort findest Du jede Menge meiner Motive als Grußkarten und in meinen immerwährenden Kalendern – und auch einige fertige Unikate.

2 Meinungen zu “Hinter den Kulissen der Kalligrafie: So entsteht eine kalligrafische Auftragsarbeit

  1. KoRa sagt:

    Was für ein interessanter, inspirierender Blogartikel. Da hat sich das Paar sicher sehr gefreut. Wird im Vorfeld auch abgsprochen, welche Farben im Raum vorherrschend sind? So eine neu gegründete Familie ist ja einrichtungstechnisch meist noch nicht so festgelegt..
    Die „Sauerei“ im Freien stell ich mir gerade bildlich vor 🙂
    Und der Verbrauch an Farbe ist sicher auch nicht zu unterschätzen.

    • Gertrud sagt:

      Hallo liebe KoRa, es freut mich, dass Du das interessant findest, und danke für Deine tollen Fragen! Ja, das ist tatsächlich manchmal eine kleine Herausforderung, vor allem, wenn es sich um Geschenke handelt. Dann bitte ich die Auftraggeber um Infos zu Einrichtung und Farben – in diesem Fall hatte ich Fotos bekommen. Meistens schlage ich eine dezente Farbkombi vor, die flexibel ist und zu fast allem passt, einfach, weil ich (inzwischen) auch sehr gerne in diesen Farben arbeite: Grau in Kombination mit einer Farbe oder ein heller Braunton in Kombi mit 1-2 Farben. Das passt fast überall.

      Schwierig wird es für mich, wenn die Kunden Farben oder Farbkombis wünschen, mit denen ich mich überhaupt nicht wohlfühle – inzwischen mache ich solche Aufträge eigentlich gar nicht mehr … aber das kommt sehr selten vor, weil die Kunden meinen Stil ja bereits kennen, wenn sie sich an mich wenden.

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